Dienstag, 9. August 2022

Nightflyer

Wir haben gerade eine alte DVD verkauft. Nightflyer hieß der Film. Kurzform: Die Wissenschaftscrew eines von Anfang an etwas merkwürdig anmutenden Raumschiffes begibt sich auf die Suche nach den Volkryn, ein legendäres Volk, dass unerkannt seit Jahrtausenden durch den Weltraum fliegt. Das Raumschiff selber entpuppt sich dabei als Monster und die Geschichte nimmt einen unheilvollen Verlauf. Die Buchvorlage stammt von George R. R.Martin (Das Lied von Eis und Feuer - besser bekannt als  "Game of Thrones").  Vor gefühlten 100 Jahren fand ich den Film spannend, die Besatzungsmitglieder gut aussehend und habe die schlechte Film - Qualität der DVD in Kauf genommen. Der neue Versuch an alte Spannungszustände anzuknüpfen war enttäuschend. Den Stoff würde man mit heutigen filmischen Mitteln sicher besser in Szene setzen. Erstaunlich, dass sich noch jemand für die DVD interessiert hat.




Nun ist diese Geschichte Vergangenheit und ich beobachte wieder meine eigenen Nachtflieger. Vom Boden aus versteht sich, denn an lauen Sommerabenden, wenn die Sonne verschwunden ist und sich hinter dunklen Hügellandschaften aus Bäumen und Gebüsch ein rotgoldener Schein am Horizont ausbreitet, lehne ich mich aufs Hoftor und starre in die Ferne. Beobachte das warme Halbrund am Horizont, überlege, wie man diese Farbe auf eine Leinwand bringen könnte. Ich entscheide mit für "Caspar David Friedrich Sonnenuntergang-Rot" mit einer Nuance ins orange. Das Rot geht über in undefinierbar hell blauen Himmel durchzogen von ein paar dunklen Wolkenfingern. Ruhe kehrt ein, der Tag hat ausgedient. Die Tauben haben aufgehört uns mit Guru-Kommentaren zu belästigen. Ein paar lärmende Krähen drehen noch eine Extrarunde, kommen träge durch das Rot gesegelt, finden ihren Schlafbaum und verstummen. Ein Fasan meldet sich lärmend von der Weide rechter Hand, nur kurz, hat wohl schon geträumt. Mit hellem "ting, ting ting" sind es schließlich die Amseln, die endgültig die Nachtruhe einläuten. Es wird jetzt sehr ruhig, eine Stille, als sei alles, was am Tag über gelärmt hat mit der Sonne mitgezogen. Es entsteht eine Art Vakuum und die dringliche Erwartung eines Zeichens, dass die Welt noch existiert.

Ich lümmel mich auf meinem Tor. Da, die Eulen melden sich aus den Bäumen beim Nachbarn. Ein riesiger Käfer erscheint auf der Bildfläche, lärmend mit wichtigem Gebrumm zieht er über mir seines Wegs, hat wohl schon ein Bierchen intus, seine Flugbahn ist sehr unorthodox. Ich hab's nicht so mit Insekten und bekomme eine Gänsehaut. Das Sirren einer Mücke neben mir ist auch nicht gerade ermutigend. Tapfer harre ich aus, kollidiere noch mit einem langbeinigen Schnakengeschöpf und sieh, da kommt sie, die Fledermaus. Auch sie macht ein Geräusch - ein ganz leises kaum wahrnehmbares wispern. Pfeilschnell rast sie im Zickzack durch mein helles Nachtfenster zwischen Horizont, Scheune und Kastanienbaum. Hinter mir zieht die Nacht auf. Links oben der erste Stern. "Hallo", sage ich und er zwinkert. Ich meine das Zwinkern macht auch ein Geräusch, kann aber auch die Fledermaus gewesen sein. Direkt auf mich zu kommt jetzt ein größerer Flieger mit hellen Lichtern. Nicht sehr hoch, wir sind hier in der Nähe des Flughafens und haben, da Corona für beendet erklärt wurde, wieder vermehrt mit Überfliegern zu tun. Er hat es eilig und das Geräusch der scharf die Luft schneidenden Turbinen wird schnell von der Stille geschluckt.

"Mieoooh", etwas warmes, weiches an meinem Bein, eine Katze sagt mir guten Abend. ich brauch nicht hinschauen, es ist Tinkerbell. Sie klettert auf ihren Beobachtungsbaumstumpf und wird gleich auf der Weide nach Mäuschen suchen. Ein 2 . dunkles Wesen taucht leise neben mir auf, noch eine Katze, das ist Willy. Der zieht in der Regel das Bett dem freien Feld vor, leistet mir aber auch gerne ein Weilchen Gesellschaft.

In der Ferne, durch das Rot am Horizont schwebt ein zweiter Flieger mit Ziel Flughafen. Ich beobachte ihn, wie er auf einer abschüssigen Bahn von Westen nach Norden durch mein Beobachtungsfenster fliegt. Die Scheinwerfer bahnen sich energisch einen Weg durch das dunkel gewordene Rot. Ich stelle fest, dass der Flughafen weiter rechter Hand liegt, als ich vermutet habe. Der Flieger verschwindet hinter dem schwarz der Baumhügel aus meinem Blickfeld. Die Nacht lässt sich nicht mehr aufhalten, mehr Sternchen blinken, der rote Schein ist schmaler geworden und nur unmerklich noch vorhanden. Es ist immer noch warm in solchen Sommernächten aber ich beschließe doch ins Haus zu gehen und mir noch mal Gedanken über "Casper David Sonnenuntergang Rot" zu machen. Ein letzter Blick nach oben: ein kleiner heller Punkt bewegt sich schnell durchs All. Noch ein Nachtflieger, wahrscheinlich ein Satellit. Aber wer weiß, vielleicht sind es die Volkryn. "Komm Willy", sag ich "Feierabend,  lass uns reingehen."



11 Kommentare:

  1. ach ja, seufze ich" welch ein wundervoller Beitrag im Netz am frühen Morgen, meine Seele wird ganz licht und hell.
    warum gibt es nicht noch viel mehr von solchen Autoren....!?!
    Selten, dass ich so etwas finde, so gedankenverloren, fast ein wenig abwesend vom Alltag und dem Geschehen in der Welt ist es von dir verfasst, gedacht und geschrieben!!!
    dafür sage ich danke, ein Kleinod an Lyrik, guter Sprache und Empfindungsfreudigkeit uns Lesern dies zu schenken...
    dir einen wundervollen Sonnentag; - danke sagt das herz von angelface

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    1. Lieben Dank für deine Worte, sie sind verantwortlich für das "Capar David Sonnenuntergang rot" in meinem Gesicht. Ich fühl mich gar nicht so als Autor, frag mich nur manchmal, wie man anderen die eigenen Empfindungen nahebringen kann und in die Worte die entstehen einen gewissen Flow hineinbringt. Und ja, wir sind hier draußen auch ein wenig abwesend vom Rest der Welt und trotzdem mitten drin. Hat mir gerade jemand bestätigt, der aus einer belebten Großstadt zu Besuch war. Er sah einen der wunderbaren Sonnenuntergänge und gegenüber stand schon der Mond. Den Sonnenaufgang mit Nebel über den Feldern hat er leider verschlafen ;-).
      auch bei mir von Herzen liebe Grüße an dich und deine Plüschtiger

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  2. Das hast Du wunderbar beschrieben; eben alles, was einen unvergesslichen Abend ausmacht.
    Wie Angel schreibt: auch ich habe nun ein herrlich warmes Gefühl, auch mitten am Vormittag. Danke!

    GLG Elena

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    1. Danke Elena, ich freu mich, von dir zu hören (lesen). Dein Name ist bei mir verbunden mit der Pinky-Bande und ich muss immer an die stressige Zeit mit diesen panischen jungen Katzen denken. Hat sich alles zurechtgelaufen :-)
      ganz liebe Grüße auch von mir
      Christiane

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  3. Im wahrsten Sinne des Wortes, eine Schilderung...
    Bilder und Gefühle in kostbare Worte gefasst, ein Abend der Romantik.
    Schmunzel -
    oftmals bleibe ich stehen und all diese Gefühle empfinde ich bei dem Durchzug von Wildgänsen oder wenn ich die Austernfischer höre, wunderbare Momente die ich sprachlich nicht so wiedergeben kann.
    Es machte Freude beim Lesen und Löns war nicht weit.
    Der Friedrich hängt bei mir über der Couch :-) - als Reproduktion...
    Herzlichen Gruß!

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    1. Oh ja, der Ruf von ziehenden Kranichen oder Wildgänsen erzeugt auch so ein erhabenes Gefühl - Austernfischer, ich überlege, ob ich den Ruf einordnen könnte. Hohes klagendes Geräusch ? Ich gehe gleich noch mal in mich. So, so, bei dir findet der Sonnenuntergang auch über dem Sofa statt :-) Praktisch.
      LG ans Meer, an Austernfischer, Möwen und dich
      Christiane

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  4. Wie wunderbar du diese Idylle beschrieben hast! Ich konnte mich sogleich in das abendliche Geschehen, mit den Geräuschen des Lebens all dieser Wesen, an deinem Tor hineinfühlen und sowohl diese undefinierbare Farbe des Sonnenuntergangs, als auch diese mystische Stimmung erahnen. An dir ist wahrlich eine Schriftstellerin verloren gegangen. Dieser Text ist mit Herz und Seele geschrieben. Du schilderst deine Wahrnehmungen frei heraus, tatsächlich so, als existierte der Rest der Welt nicht mehr. Solche Momente sind so unglaublich kostbar. Es sind Momente, an die man sich noch in vielen Jahren erinnern wird, weil sie die Seele so tief berührt haben. Caspar David Friedrich war ein Meister darin, solche stimmungsvollen Momente in seinen unvergleichlichen Farben auf eine Leinwand zu übertragen, so wie es nur romantische Träumer können. Was für ein wunderbarer Text, liebe Christiane!
    Hab noch einen angenehmen Sonntag, lass es dir gut gehen und sei herzlich gegrüßt von
    Laura, die unbedingt auf weitere lyrische Kostproben von dir hofft.

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    1. Es verblüfft mich ein wenig, dass meine kleinen Beschreibungen unserer bescheidenen und teils etwas weltabgeschiedenen Wirklichkeit auch andere erreichen. Es freut mich natürlich, wenn ich damit Sonnenuntergangsgefühle vermitteln konnte. Wenn ich kritisch in mich gehe, beurteile ich mich selbst nämlich nicht als Verfasser von lyrischen Texten sondern als Chronist - mit romantischer Ader versteht sich ;-) Danke für die Blümchen und viele Grüße in den Rosengarten
      Christiane

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  5. wunderbar geschrieben..
    man ist beim Lesen mitten drin und steht mit am Hoftor
    hat die Bilder vor dem inneren Auge
    liebe Grüße
    Rosi

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    1. Ich freue mich über deinen Besuch hier und bedanke mich für deine ermutigenden Worte.
      LG Christiane

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  6. ich denke mal Laura hat wundervoll beschrieben wie dieser Text bei manchen menschen an - kommt, ud wie sehr wir alle dies brauchen in unserer ach so kühlen und mittlerweilen gefühllosen Welt wo jeder nur noch an sich und an seinen Egoismus denkt und entsprechend handelt...
    lyrik und zwar gute uns einnehmende Lyrik macht die Seele weit und offen, zaubert ein Lächeln aufs Gesicht und lässt uns inne Halten, still stehen, loslassen und in die Ferne sehen, fühlen statt zu agieren...
    für all das danken wir dir denn du schenkst sie uns...
    herzlichst angel

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